Kuniberts Technik-Problem
Tja, Robobert, dachte Kunibert, ohne die Brille war er aufgeschmissen. Hotel, sagte er immer wieder, doch sein Knopf im Ohr flüsterte ihm keine Antworten mehr zu. Da war er bis in die Tiefen dieser fremden Stadt vorgedrungen und stand nun hoffnungslos verloren auf dem Petersplatz. Wahrscheinlich war der Akku leer, überlegte Kunibert und hatte noch keine Idee, wie er nun zurückfinden sollte. Mit ihrer Hilfe war alles so einfach gewesen, dachte er. Jetzt dagegen fühlte er sich wie ein alleingelassenes Kind im Supermarkt.
Wochenend-Trip nach Rom
Mit einem Wochenend-Trip nach Rom hatte ihm das Anschreiben den Test schmackhaft gemacht. Als Gegenleistung hatte Kunibert lediglich die Cyber-Hightech-Glasses testen und mit ihrer Unterstützung ein paar Aufgaben erfüllen sollen. Auch wenn die Brille bis auf den Knopf fürs Ohr aussah wie ein gewöhnliches Modell, konnte sie soviel mehr. “Taxi” und “Hotel” hatte Kunibert nur sagen müssen, als er in Rom angekommen war und schon hatte ihn ein Chauffeure vom Flughafen abgeholt.
Hotel, versuchte er es ein letztes Mal, aber da war nichts zu machen. Er könnte jemanden ansprechen, dachte Kunibert, aber er wusste ja nicht einmal den Namen seiner Unterkunft. 1985 war sie erbaut worden, daran konnte er sich erinnern, weil das zufällig sein Geburtsdatum war. Und er wusste, dass das Hotel 27 Zimmer hatte, weil das zufällig auch sein Alter war. Aber auf den Namen wollte er beim besten Willen nicht kommen. Primavera, überlegte er, aber das war doch die Pizza gewesen, die er heute Mittag gegessen hatte.
Bis zur Sprachlosigkeit
Seine Brille hätte es natürlich gewusst, war sie doch bis zur ihrer plötzlichen Sprachlosigkeit immer sehr auskunftsfreudig gewesen. Zu jedem Gebäude, das ins Blickfeld geraten war, hatte sie Informationen heruntergebetet, zu jedem Restaurant die Bewertungen genannt und bei einem Blick in den Himmel über die Regenwahrscheinlichkeit informiert. Null Prozent, hatte sie fortlaufend geflüstert. Null Prozent. Den Rest des Wochenendes hatte sich Kunibert genau überlegt, wo er noch hingeschaut hatte und eher pflichtbewusst als von der Begleitung der Brille erfreut die für den Test vorgegebenen Stichwörter abgeklappert. Auf “Taxi” und “Hotel” waren diverse Sehenswürdigkeiten gefolgt, in regelmäßigen Abständen “Essen” und mit “Hotel” die allabendliche Einkehr in seine Bleibe.
Er konnte jemandem das Hotel beschreiben, überlegte Kunibert als Nächstes, aber er sprach die Sprache dieser Leute nicht. “Hotel”, versuchte er es bei einer älteren Dame und erklärte ihr, dass es relativ ‘big’ sei und ‘white’ Steine hätte. Sie schüttelte den Kopf. Auch noch, als Kunibert ergänzte, dass es in ‘nineteen eighty-five’ gebaut worden war und ‘twenty-seven rooms’ hätte. Nach weiteren erfolglosen Anläufen entschied er sich, einfach in die Richtung zu gehen, in der er seine Unterkunft vermutete.
Treiben lassen
Natürlich dämmerte es bereits, doch Kunibert hatte keine Eile mehr. Er schlenderte dorthin, wohin ihn seine Nase trug, sein Auge etwas von Interesse erblickte oder außergewöhnliche Klänge an sein Ohr drangen. An einer Ecke hörte er einem Straßenmusikanten zu, dann folgte er dem Geruch von Kaffee und schließlich erblickte er an einer Brücke eine Bank, auf der er sich niederließ.
Dann würde er morgen ohne Gepäck fliegen, dachte er. Dass ihm auch einfach der Name nicht einfallen wollte, aber sein Gedächtnis war schon immer ein Sieb gewesen. Oder er würde gar nicht mehr nach Hause fliegen, überlegte er weiter. Er würde einfach solange durch Rom wandern, bis er eines Tages zufällig das Hotel wieder entdecken würde. Und auch dann würde er nicht einfach das Flugzeug nehmen, sondern sein Gepäck schultern und zu Fuß die Heimreise antreten. Kunibert lächelte – zum ersten Mal seitdem er in Rom gelandet war und das als Technikwunder angepriesene Gestell auf seine Nase gesetzt hatte.
Für immer ein Römer
Ein Römer zu werden, das war eine gute Idee. Für immer, dachte er und er würde nur noch hier auf dieser Bank sitzen. Hier passierte sicherlich genug – nicht nur tagsüber, sondern auch an Abenden wie diesen – und genau in diesem Moment entdeckte er einen Mann, der so gar nicht in das lauschige Bild der einkehrenden Nachtruhe passen wollte. Im Staccato-Schritt kam der drahtige Typ über die Brücke gehetzt und fuchtelte erzürnt mit seinen Händen in der Luft herum. “Diese Brille treibt mich noch in den Wahnsinn”, fluchte er, als er an Kunibert vorüberkam. Sie solle ihn jetzt nur noch ins Hotel führen und dann ein für alle Mal in Ruhe lassen.
Da lächelte Kunibert wieder, erhob sich von der Bank und folgte dem Mann.
(Bildrechte: Thomas Hawk via photopin cc)