Kuniberts Zielstrebigkeit
Lauf Kunibert, lauf, befahl er sich. gleich hast du es geschafft. Am Horizont wölbte sich die Straße bereits gen Himmel. Dort ging es bergauf, dort musste er hin. Los lauf schon, ermahnte er sich noch einmal, denn er lief schon längst nicht mehr. Wie ein angeschossenes Rhinozeros schleppte er sich vorwärts, und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er in sich zusammenbrechen würde. Jeder Schritt, wenn einer seiner nackten Füße den Asphalt berührte, schmerzte und der Schweiß rann ihm aus sämtlichen Poren. Nur nicht aufgeben, dachte er, doch hatte er kein Auto mehr, kein Geld, keine Frau, großen Hunger und nichts zu trinken. Aber daran wollte er jetzt nicht denken, lag doch vor ihm das große Ziel. Nur ob er dort hinwollte, wo er hinwollte, da war er sich plötzlich auch nicht mehr sicher. Schwachsinn!, brüllte er in die leere Weite, nur nicht nachdenken, dachte er, kämpf noch mal, du Schwein, aber es war von Anfang an nicht sein Tag gewesen…
Kunibert Eder – aus-aus-geradeaus.mp3
Das Echo in seinem Kopf
Kunibert fuhr auf der Autobahn. Wenn man es überhaupt fahren nennen konnte, was er dort mit seinem alten Blechhaufen auf der dreispurig ausgebauten Schnellstraße zum Besten zu geben wußte. Angehupt, beschimpft und geschnitten, bedrängt, verschmäht und belächelt, schlich er seines Weges; die Worte seiner Großtante hallten immer noch wie ein Echo in seinem Kopf.
„Und die Liebe, mein Kuno. Sag, hast du deine Frau gefunden?“ Die Frage kam immer wieder hoch, auch als er nun um seinen Führerschein und die Fahrzeugpapiere gebeten wurde, dachte er nur an sie. Es war Jahre her gewesen, dass ihm die Frage zuletzt jemand gestellt hatte, bemerkte er, als er bereits darauf hingewiesen wurde, gefälligst zügiger zu fahren und den Verkehrsfluss nicht unnötig zu behindern. So käme er doch nie ans Ziel, ermahnte ihn der Polizist, und wo er denn überhaupt hinwollte. Kunibert zuckte mit den Schultern und deutete zur Ausschilderung. Ach, nickte der Beamte zum Abschied, das wollten viele, aber die meisten würden dann vorher doch eine andere Ausfahrt nehmen.
Wegweisende Begegnungen
Bestimmt sieben Jahre, überlegte Kunibert, als er wieder anfuhr. Da hatte ihn auch seine Großmutter danach gefragt, und er hatte mit ‚Nein’ antworten müssen – wenn nicht zu ihr, dann wenigstens doch zu sich selbst. Seiner Großtante hätte er heute am liebsten ‚Ja’ gesagt, aber da war es schon keines mehr gewesen. Sie hatte ihm den Rücken zugedreht mit den Kindern, und er hatte nie wieder heiraten wollen, hatte auch seine Großtante ihm noch eine wenig erbauende Geschichte mit auf den Weg gegeben. Traurige Begegnung, dachte Kunibert, und er würde sie nie wieder sehen, das war mindestens genauso schlimm. Nie hatten sie ihn in diesem Moment nach seiner Arbeit gefragt, überlegte er, nie nach seinen Hobbys oder seinen Freunden. In diesem Moment hatten sie sich immer nur für eines interessiert. Da erblickte Kunibert wieder die vorbeifliegende Ausschilderung, und sofort trat er das Gaspedal durch.
Ich weiß jetzt, wo ich hinwill, sagte Kunibert, als ihm der Polizist bereits den Führerschein abnahm. Das würden viele behaupten, meinte der Beamte wieder, die meisten würden aber vorher doch woanders abbiegen. Ja, dachte sich Kunibert, auch er hatte schon Ausfahrten mit anderen Namen genommen und hier und dort eine Rast eingelegt. Aber am Ende des Tages würden doch alle weiterfahren, da war er sich ganz sicher. Nein, nein, nein, er wollte keine Ausfahrten mehr, er wusste jetzt, wo er hinwollte. Mit dem alten Blechhaufen wäre er ohnehin nicht mehr weit gekommen, resümierte der Polizist. Na und, entgegnete ihm Kunibert, dann laufe er halt zu Fuß weiter. Noch bevor er es sicher anders überlegen konnte, nahm er schnell sein Herz in beide Hände und rannte los.
Und nun?
Und da war er nun. Keine anderen Autos mehr, kein Polizist und keine Schilder. Mit letzter Kraft schleppte sich Kunibert den Anstieg hinauf und da vor ihm auf dem Gipfel offenbarte sich die Katastrophe. Die Straße endete an einer riesigen Schlucht, eine Brücke gab es nicht. Was wollte ihm der Schöpfer dieser Szene nun damit schon wieder sagen, fragte sich Kunibert entrüstet und brach auf der Stelle über seinem Meer an Fragen zusammen. War er zu schnell gewesen? Hätte er die anderen lockenden Ausfahrten vielleicht auch noch nehmen sollen? Und sollte er nun warten oder jetzt sofort einen Sprung riskieren? Vielleicht sollte er auch wieder umdrehen. Was machste nur, fragte sich Kunibert und hatte darauf keine Antwort.
Kunibert, dache er sich da, Kunibert, diesen Mist willst du jetzt nicht etwa interpretieren. Recht hatte er. Also, wachte er lieber auf und ging direkt zur Arbeit.
(Bildrechte: randomthursday via photopin cc)