aus: (Zw)ei(n)sam
Ein märchenhaftes Palindrom vom Verstehen und Vergeben
Dem jungen Mann ging es schon entschieden besser, so wie es jedem jungen Mann (und Menschen…) sehr viel besser geht, wenn er eine gewinnbringende Erkenntnis gewonnen hat. Der Gang endete vor einer schweren Eisentür, die der junge Mann mit einem leichten Ruck öffnen konnte.
(Zw)ein(n)sam – Der Schuhmacher.mp3
Vor ihm tat sich ein neuer Abschnitt auf. Die Wände waren hell gepflastert und Fackeln wiesen ihm den Weg. Ein älterer Mann in einem braunen Arbeitskittel erwartete ihn bereits.
„Ahh, da bist du ja.“
„Hallo“, sagte der junge Mann und reichte ihm die Hand. „Wer bist du?“
„Ich bin dein Schuhmacher. Ich habe dich bereits erwartet.“
Der junge Mann war verdutzt, denn wie jeder junge Mann, der diesen Abschnitt betritt, kann er sich an das letzte Mal höchstens vage erinnern.
„Schließlich bin ich dein Schuhmacher“, antwortete der Schuhmacher. „Gib mir deine Schuhe.“
„Was willst du mit meinen Schuhen?“
„Sie passen dir nicht mehr.“
„Sie sind aber sehr bequem.“
„Das mag sein, aber sie passen dir nicht mehr.“
Irritiert überreichte der junge Mann dem Schuhmacher sein altes Gehwerk.
„Das wurde aber auch wirklich Zeit, dass du kommst. Kein Profil mehr und völlig ausgelatscht. Ich wette, sie sind dir sogar zu klein.“
Der junge Mann nickte nun.
„Pass auf“, sagte der Schuhmacher. „Ich werde dir etwas erklären. Du kennst mich nicht, aber du bist nicht das erste Mal hier und vielleicht nicht das letzte Mal. Du wirst mich bald wieder vergessen haben, denn jeder junge Mann vergisst seinen Schuhmacher. Aber jeder hat genau einen und er gestaltet ihm seine Schuhe. Optisch so schick und auffällig wie sie sein sollten und mit mehr oder weniger festen Schnürbändern. Und das Wichtigste wirst du auf dem ersten Blick nicht einmal sehen: Es ist die Sohle, denn sie hinterlässt deine Spuren. Lange Rede kurzer Sinn: Hier sind deine neuen Schuhe.“
Der junge Mann befühlte neugierig das frisch geformte Leder.
„Gehe sorgfältig mit ihnen um und pass auf, wo du hintrittst. Ich weiß, wo du herkommst und dass es ein langer Weg gewesen ist und deshalb werden sie dir so manchen Fehltritt verzeihen. Schließlich hast du dir sehr viel versprochen, bis du endlich hier angekommen bist. Und wie du inzwischen auch weißt, ist es nur der Anfang, sich im stillen Kämmerlein großen Grundsätzen zu verschreiben. Sie aber in der Welt da draußen tatsächlich zu verfolgen, das ist eine ganz andere Geschichte.“
Der Schuhmacher reichte dem jungen Mann die Hand und nahm ihm damit das Versprechen ab, sich seinen neuen Schuhen als würdig zu erweisen.
„Bleibe dir treu, dann wird es eine wunderschöne Reise“, sagte der Schuhmacher zum Abschied und verschwand so plötzlich, wie er aufgetaucht war.
Celina meint
Schöne Idee! Schöne Geschichte!
janmikael meint
danke =)
morgen geht’s weiter!