aus: (Zw)ei(n)sam
Ein märchenhaftes Palindrom vom Verstehen und Vergeben
Nicht ganz ohne Stolz blickte die junge Königin nun durch etliche der geöffneten Fensterläden des Turms. Sie konnte bereits große Teile ihres Königreichs sehen, doch der Blick auf die Stadt blieb ihr verwehrt. Ihr Display im Regierungsraum zeigte eine Zwei an. Jeder Regierungsraum hat ein solches Display, denn er zeigt an, wie viele Gefangene sich noch im Keller befinden. Doch wie es mit Zahlen so ist, täuschen sie über die Wirklichkeit oft hinweg. Denn Zahlen können nicht ermessen, welche Schwierigkeiten mit der Zahl Zwei verknüpft sind. Zwei, die sich streiten und lieben. Zwei, die sich lieben und hassen. Manchmal ist die Zwei noch sehr viel schwieriger als die Eins. Auch wenn das nicht von Dauer ist, wurde der jungen Königin bei dem Gedanken an die Zwei ganz mulmig und eine Hundert wäre ihr nun allemal lieber gewesen. Nur es gab jetzt kein Zurück mehr, ein König war ihr zur unterwegs, das wusste sie, und wo sie nun schon klein angefangen hatte, wollte sie nicht mehr aufhören. Sie war eine Königin und sie sehnte sich nach einem König.
(zw)ei(n)sam – Die Untreue.mp3
Als sie den Film gestartet hatte, bekam sie einen jungen Mann zu sehen, der durch dunkle Katakomben irrte. Nanu, dachte sie sich, denn sie hatte das merkwürdige Gefühl, den jungen Mann bereits zu kennen und nicht nur weil er im Film des Schuhmachers aufgetaucht war. Er sieht geschwächt aus, bemerkte sie, denn sicher hatte er schon lange nicht mehr die Sonne gesehen. Die junge Königin betete, dass der junge Mann durchhalten und aus dem Keller gelangen würde, doch da begegnete er einem wunderschönen Fräulein. Sie strahlte ihn sogleich an und in der jungen Königin zog sich alles zusammen.
Sofort stellte sie den Monitor ab und es vergingen Tage, Wochen, sogar eine kleine Ewigkeit, bis sie den Film aufs Neue starten konnte. Doch obwohl sie es wieder und wieder versuchte, kam sie nie über den Punkt hinaus, an dem der junge Mann dem wunderschönen Fräulein begegnete. Die junge Königin wünschte sich, dass sich alle Fensterläden wieder schließen mögen und schon überlegte sie den Trinker, den Nörgler und alle Brüder wieder einzusperren, doch sie wollte auch nicht die strenge Herrscherin werden, wie es ihre Mutter gewesen war.
Also tat sie nichts und verbrachte wieder die meiste Zeit in ihrem Bett. Dort fiel ihr wieder der Schuhmacher ein und die Gewissheit, dass ein König zu ihr unterwegs war. Er hat nur die falschen Schuhe getragen, sprach sich die junge Königin Mut zu, und entschloss sich schließlich, den Film bis zum Ende anzuschauen. Es passierte jedoch das, was sie befürchtet hatte. Nachdem sich der junge Mann und das wunderschöne Fräulein begegnet waren, verbrachten sie einige Zeit miteinander und irgendwann zog die Untreue dem jungen Mann tatsächlich die Schuhe aus. Die junge Königin weinte und war wütend über sich selbst, denn offenbar war es doch kein König gewesen, den sie dort gesehen hatte. Dem wunderschönen Fräulein gab sie jedenfalls keine Schuld und so ließ sie die Untreue zu sich rufen.
„Es tut mir leid. Ich habe den König verführt“, rief diese und warf sich der Königin zu Füßen. „Danach habe ich ihn mit einem Fluch belegt, weil er gegangen ist, obwohl ich weiß, dass er das Richtige getan hat.“
„Er war kein König, er war ein junger Mann“, antwortete da die junge Königin kalt, denn ihre Tränen waren längst getrocknet.
„Doch, er ist ein König“, wiederholte die Untreue. „Ich hoffe, dass tröstet dich.“
Die junge Königin schüttelte den Kopf.
„Es ist schon lange her“, gab die Untreue zu Bedenken. „Erst vor kurzem war der König bei mir. Er trägt neue Schuhe, und er ist weiter gezogen und wieder habe ich ihn verflucht.“
Die junge Königin wusste nun gar nicht mehr, was sie noch glauben sollte und was sie zu Ertragen im Stande war. „Du hast das richtige getan“, sagte sie dann zunächst und wieder formten sich ihre Worte, als hätte sie schon immer gewusst, was sie in der Situation zu sagen hätte: „Du warst ein Engel für ihn und wirst es immer bleiben. Du hast ihm den Weg gewiesen.“
Da strahlten die Augen der Untreue und sie flog davon, denn sie war ein Engel. Die junge Königin blieb einsam zurück.
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