aus: (Zw)ei(n)sam
Ein märchenhaftes Palindrom vom Verstehen und Vergeben
Mit zitternder Hand startete die junge Königin den letzten verbliebenen Film – und sie war überrascht. Denn was sich vor ihren Augen abspielte, war zunächst das Schönste, was sie jemals gesehen hatte. Sie sah einen jungen Mann und eine junge Frau über blühende Wiesen toben und sie sah, wie nicht nur sie, sondern auch ihre Herzen hüpften.
(Zw)ei(n)sam – Der Bäckermeister
Der Film hätte ewig so weitergehen können, doch wurde der jungen Königin nun erst der Schönheitsfehler bewusst. Dem jungen Mann und der jungen Frau steckte ein Dolch ganz tief im Herzen und sie kamen nicht um den Punkt umhin, das verwundete Herz des anderen zu entdecken. Mit Worten beschrieben sie die Hässlichkeit dessen, was sie dort sahen und als sie eines Tages wieder auf ihrer Wiese saßen, begannen sie heftig darüber zu streiten.
Es blieb nicht bei Worten, denn irgendwann versuchten sie einander die Dolche aus ihrem Herzen zu ziehen und als das nicht weiter funktionierte, stachen sie sie wieder hinein – beides war irgendwann nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Sie rüttelten am Dolch des anderen und schrieen vor Schmerz, bis plötzlich Blut aus ihrer beider Herzen schoss und das Pärchen erschöpft zu Boden sank – neben ihnen die herausgerissenen Dolche.
Noch eine Szene folgte, in der ein Mann vor einem Turm stand, aus dem ein Stein nach dem anderen flog. Erst hob er sie noch auf und warf sie zurück, dann hörte auch das auf. Die junge Königin wusste gleich, was sie da gerade gesehen hatte. Ihr Herz raste und nichts hielt sie mehr davon ab, diesen Mann zu ihr zu rufen. Sie erwartete ihn mit gebrochenem Herzen, und so war sie umso überraschter, als er zufrieden lächelnd vor ihr auftauchte.
„Du weißt, wer ich bin?“, fragte er. Sie nickte. „Es tut mir leid, dass wir uns erst jetzt begegnen“, sagte der inzwischen alt gewordene Mann.
„Ich weiß“, antwortete die junge Königin, denn sie war tatsächlich nicht wütend auf ihn. Sie hatte ihn verstanden und ihr tat es genauso Leid wie ihm. Ich habe nicht einmal ein Recht dazu, über ihn zu urteilen, stellte sie fest, deshalb werde ich auch ihn freilassen. Ich habe ihn dort nicht eingesperrt, dachte sie, und er soll nicht weiter in meiner Tiefe gefangen sein.
„Ich lasse dir ein Zimmer herrichten, denn wir haben uns sicher viel zu erzählen“, sagte sie deshalb.
„Ich bin kein König“, antwortete der alte Mann. „Ich habe Fehler gemacht und ich weiß nun, wo ich hingehöre. Leider musste ich so alt werden, um das zu verstehen, aber ich bin nicht mehr böse darum. Komm mich einfach eines Tages besuchen.“
„Aber vielleicht kommt sie wieder zurück“, antwortete da die junge Königin. „Mag sein, aber ich bin zu alt, um nur noch darauf zu warten und sie wird wissen, wo sie mich findet.“ Er lächelte und fügte hinzu: „Ich danke dir, dass du mir verziehen hast.“
„Du hast dir selbst verziehen“, erwiderte darauf die junge Königin, und da hüpfte dem Bäckermeister das Herz. Er war stolz auf seine Tochter, denn er wusste nun, dass das Königreich eine würdige Königin gefunden hatte.
„Ich möchte dir auch noch etwas sagen“, begann er. „Ich habe eine Brücke gebaut – mit jedem Stein, den sie mir entgegen geworfen hat. Vielleicht habe ich zu spät damit begonnen, vielleicht war ich zu langsam, vielleicht war ich ein Idiot, aber was ich sagen will: Sie wird immer dort sein und jeder, der bereit dazu ist, kann über diese Brücke gehen. Wenn du mir ein Geschenk machen willst, gehe eines Tages darüber. Ich weiß, dass ein König zu dir unterwegs sein wird.“
Die junge Königin strahlte vor Freude und sie vergaß sogar, sich vom Bäckermeister zu verabschieden. Sie rannte durch ihren Turm und blickte aus dem höchsten ihrer Fenster, von wo aus sie nun sogar ihr gesamtes Königsreich überblicken konnte. Sie wollte sich sofort ins Stadtgetümmel werfen, nur einen Blick in den Spiegel musste sie vorher noch riskieren. Alle Eigenheiten mochte sie nun an sich, ihre Kurven, ihr Lachen, ihr langes Haar. Ich bin eine wunderschöne Königin, sagte sie sich dann ganz laut und musste selbst lachen über ihre unverschämte Eitelkeit.
Dann rannte sie raus aus ihrem Turm geradewegs auf eine alte Brücke zu, die über einen Fluss führte. Sie hatte keine Zeit mehr zu verlieren, sie fühlte in sich, dass auch ihr Herz nun frei war von all dem Schmerz. Jeder hat eine Vergangenheit, dachte sie und freute sich nun auf den König, der ihres Weges kommen würde. Nun würde er die passenden Schuhe tragen.
Und wenn sie sich auch heute noch verstehen und vergeben, dann leben sie immer noch zusammen. Ihr werdet sicher denken, so etwas kann nur in einem Märchen geschehen. Und ihr habt Recht, denn alles ist Wahrheit. Nur warum sollte das nicht auch ein Märchen sein?
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