Dies ist der zweite Teil von Verwählt
Das Freizeichen ertönte, Roberts Blick wanderte durch das schlicht möbilierte Hotelzimmer zur Sporttasche, die nun ganz in der Nähe des Balkons stand. Vorbei die Zeiten, in denen er sich einen separaten Raum für seine Sachen leistete und sie in den ruhigen Stunden aus seinem Blickfeld verschwanden. Drei noch, dachte er und packte in Gedanken seine Tasche aus. Das Leben sei voller Reißsverschlüsse, sagte Simon immer. Früher oder später würden sie sich öffnen. Man müsse nur dranbleiben. Noch zwei. Warum überhaupt hatte er ihre Nummer gewählt? Ihre Stimme war ihm sympathisch gewesen. Noch eins, aber er war doch gar nicht der Typ, der irgendwem nachrannte oder gar fremde Menschen anrief.
Leg auf, dachte er, aber so fremd schien sie ihm gar nicht. Im Spiegel am Kleiderschrank gegenüber entdeckte Robert seine großen Füße, die mit dutzenden Blasen übersät waren. Komm, noch mal zwei. Diese ganze Schinderei konnte nicht gut sein, sein Kopf kam nicht mehr hinterher. Noch eins. Standard-Outfit, bemerkte er, weißes Shirt, weiße Shorts, immerhin sein Körper erfreute sich bester Gesundheit. Er legte auf, sollte doch niemand wissen, was er sich in seinem Leben schon alles reingepfiffen hatte – nicht nur um seiner Karriere Willen. Es klingelte. 308 stand im Display, Robert räusperte sich.
„Hello?“
„George?“
„No, it’s Robert.“
„Ah, ok.“ Es klang enttäuscht. Was hatte sie nur mit diesem George?
„Excuse me for calling you“, begann Robert. „I just called…“ Ja, warum hatte er überhaupt angerufen. „… to say …“ Ihm fielen nur ein Liedtitel und drei Worte ein, aber nichts lag ihm ferner als diese auszusprechen. Wahrscheinlich war das der Grund, dachte er, denn es gab niemanden, den er in einem solchen Moment sonst hätte anrufen können. Außer vielleicht Simon. Nur lief es dann an einem Abend wie diesen wieder darauf hinaus, dass sie um die Häuser zogen. Und das war nicht mehr das, was er wollte.
No George, hörte er die wohlklingende Stimme aus dem Telefon, die die zweifelnde Bemerkung in eine Frage hüllte.
„No, it’s Robert. Sounds like you’re looking out for a George in this room“, war alles was ihm einfiel, und das war keine brilliante Feststellung, aber Robert war schon froh, wenigstens diesen Satz in halbwegs sauberem Englisch formuliert zu haben.
„Yes. He gave me his room number and told me, that I should call him.“
„Sorry for disappointing you. It’s my room and I’m here on my own.“
Ihr unverständliches Fluchen hallte durch den Hörer. Wörter, die Robert von den Tennisplätzen dieser Welt zu Gut kannte, selbst aber nur in Gedanken zu nutzen pflegte.
„Sorry, I just trusted him. And sorry for calling you.“
„It’s okay. It was me calling you back. I was just a little bit bored and asked myself, which George you could mean.” Dabei wollte Robert viel lieber wissen, wer sie war, doch wie auf dem Centre Court war ihm auch im Gespräch seine Zielstrebigkeit abhanden gekommen.
„George doesn’t matter. Seems like he made fun of me.” Kurz herrschte Stille in der Leitung. „So, Rob what do you do here?“
„I played tennis at a tournament in the city. But I’m finished now and for the rest of the year.”
„Okay.“
„But let me just ask you, first: Why is George that important for you and excuse me, I haven’t asked for your name.“
„Ann.” Sie ließ eine Pause, wohl um zu überlegen, ob sie wirklich weiterreden sollte. „Ann Foligno.“ Es folgte die nächste Unterbrechung, in der es bei Robert hätte Klick machen sollen, doch das tat es nicht. War sie etwa von der Lady’s Tour oder woher hätte er sie sonst kennen sollen?
„Ahhh“, sagte er schnell, um sich selbst nicht gänzlich bloßzustellen.
„He said, he could help me with a new movie.“
George. Na klar, sie musste diesen graumelierten Supertypen aus Hollywood meinen. Nur was sollte der schon in einem solchen Mittelklasse-Hotel in Seoul wollen?
„I need this role, you know.”
Nein, Robert wusste nicht. Er richtete sich auf seinem Bett auf, sein Rücken schmerzte. Irgendwann sollte er wieder einen Physiotherapeuten engagieren.
„Sounds important. So, you’re an actress?“ Wenn er weiter so einen Stuss von sich geben würde, würde sie sicher auflegen. Doch sie tat es nicht. Sie erzählte davon, dass ein großer Film in Seoul geplant sei und George sie unbedingt als weibliche Hauptrolle besetzen solle. Rein zufällig, so zumindest verstand es Robert, war sie ihm hier in der Stadt über den Weg gelaufen. Und jetzt hatte er sie auch noch komplett verarscht, wie sie sich gewählt ausdrückte, wobei ihr nun klar wurde, warum George so schelmisch gegrinst habe.
„You will win the Oscar with another movie,“ versuchte ihr Robert Mut zu machen.
Ann lachte höflich, so wie es Leute aus Hollywood wohl taten. „Sometimes it’s just this one thing, you know”, schob sie nach. „It’s exactly that movie, exactly that role. There’s no doubt about it.”
„Sounds like fate – like the big love.“
„Big love? Are you kidding me?“
„No…” Er zuckte kurz zurück, dann schlug er den Return. „I’m serious with that.“
„Hmmm… It’s sad to believe that there’s only one person that gives love to you.”
„Did I say that?“
„Do I know what you wanted to say. See, there are a lot of people who love me. And all of them are important for me.”
„Everyone has it’s own way.“ Robert kam sich mit seinem stottrigen Englisch mittlerweile mehr vor wie ein Schuljunge und nicht wie ein Tennisspieler auf dem Weg zur Weltspitze. Ann spielte Rollen, dachte sich in Menschen hinein und schien überzeugt von sich und von dem, was sie vom Leben erwarten konnte. Er dagegen dachte nur über seine nächsten Gegner nach, wie er sie austricksen, wie er seine Bein- und Oberkörpermuskelatur stärken und irgendwie nebenbei sein Leben auf die Reihe bekommen konnte. Filme, dachte er, sie liefen bei ihm nur nebenbei auf dem Laptop, und DVD’s, die er kaufte, verstaubten zu Hause in seinen Regalen. Kein Wunder, dass er momentan nur auf der Stelle trat. Er wusste ja nicht einmal, wer Ann Foligno war.
„What’s your way, Rob?“
Als Ann ihn dies so in seine Gedanken fragte, merkte Robert Omerowitsch, wie traurig sein Weg doch war. Er hatte immer nur für den Sport gelebt, nie eine langjärige Partnerin gefunden und war nun in einer Zeit stehengeblieben, die ihm mehr Fragen als Antworten lieferte. Andere bewegten sich frei und genossen das Leben. Robert dagegen befand sich auf einer Autobahn und raste im Höchstempo zwischen zwei Leitplanken einem Punkt entgegen, von dem er nicht einmal mehr wusste, ob er noch auf seiner Strecke lag.
„Being the number one“, platzte es dann aus ihm heraus. „It’s all about being the number one. My whole life. Number one in school, number one in sports, number one in the tennis club, number one in the countries youth team, number one in the world. And if I don’t reach my aims, there’s always something I did wrong. At least this is, what I believe in. It’s always my fault, but I don’t know, what it is this time.”
Er dachte an sein vorzeitiges Turnieraus und daran, was er wieder falsch gemacht haben könnte. Er würde es mit Simon analysieren. Das war sicher. Und sie würden es solange analysieren, bis sie etwas gefunden hatten, selbst wenn es nichts zu finden gab und es einfach nicht anders hatte sein sollen.
„Don’t be that hard“, hörte er da Ann’s beruhigende Stimme, und dies war der Moment, in dem Robert sicher war, dass er ihr eines Tages begegnen wollte. „There’s a character in this movie I want to play in. Do you know what his opinion is on that?”
Robert nickte und er wusste, dass Ann es bemerkte.
„In the past you may find something that you could have done better. But always remember, that this doesn’t necessarily mean that you already could have done it better in that time.”
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