WXR’17: Writing Excuses Retreat
Da lief ich also rum an Deck des MSC Fantasia, der gelbe Brustbeutel mit meinem Namen baumelte mir um den Hals, und ich fragte mich: Wohin? Das Frühstückbuffet lockte, die Ankunft in Stockholm nahte, aufs wollte ich Laufband auch (schließlich war Dienstag), und Vorträge standen ebenfalls auf dem Programm. An diesem Tag “Maintaining a Writers Life” von Thomas Olde Heuvelt, das hatte ich mir in meiner Planung dick angestrichen. Und was war überhaupt mit dem Pool? Schließlich schien die Sonne. Und abends noch das gemeinsame Dinner und zum Ausklang ein Bulmers und Klaviermusik in der Toskana Bar. Willkommen an Bord des Autorenlebens!
Ins Autorenleben stolpern
Stumbling on Happiness (ins Glück stolpern) heißt ein Buch, dass sich mit dem gleichnamigen Thema befasst. Die meisten Einzelheiten habe ich vergessen, leider auch den Namen des Autors (Daniel Gilbert, danke Internet!). Die Quintessenz war aus meiner Erinnerung jedoch, dass man im Nachhinein immer zufrieden oder glücklich sein kann und wird mit seinen Entscheidungen, wenn man sie auf einer guten Grundlage trifft. Meine Grundlage, bei einer Schreibreise auf einem Schiff mitzufahren, war simpel. Eine Kollegin aus dem Schreibhain hatte im Vorjahr daran teilgenommen und mir den Link geschickt. Ihr hatte es gefallen. Eine Schifffahrt, coole Städte, viele Autoren und jede Menge Input. Nach ein paar Tagen Bedenkzeit hatte ich gebucht.
Der Termin rückte näher. Online konnte man bereits sein individuelles Programm gestalten und wurde als Einzelperson einem Kabinenpartner zugeordnet. Und dann Ende Juli würde man mit so einem Kahn aufs Meer schippern und mit ein paar weiteren Autoren eine Schreibreise unternehmen… Es scheint ein vor allem unter Autoren verbreitetes Phänomen zu sein, dass wir uns Dinge ausmalen, die sich in der Realität ein klein wenig anders darstellen. Ein Kahn? Kurz vor der Abreise klärten mich zwei meiner Kollegen auf. Der Kahn war die MSC Fantasia, 4.000 Passagiere, 1.500 Besatzungsmitglieder, 14 Decks, eine Stadt auf dem Wasser. So stolperte ich nach Kiel und weiter hinein ins Autorenleben.
Es mag an meinem Naturell liegen, aber mich selbst als Autor zu bezeichnen, hat einen langen Weg genommen. Da circa 80% der Teilnehmer und fast alle Dozenten US-Amerikaner waren, offenbarte sich mir eine komplett gegensätzliche Herangehensweise. “You’re a writer”, sagte mir eine robust wirkende Dame bereits bei der Registrierung. Sie interessierte nicht, was ich geschrieben hatte, und wie viel, ob es jemals veröffentlicht oder gelesen worden war. “You’re a writer!”, begrüßte sich mich nur. Und ein anderer Teilnehmer, der sein Buch als Selfpublisher veröffentlicht hatte, meinte: “I sold three books, but I’m published. So I call myself an author!” Bin ich ein Maler, wenn ich zu Hause einen Tuschkasten habe und ein oder zwei Bilder über eine Online-Platfform zum Vorzugspreis von 99 Cent verkaufe?
Veranstalter betreiben Podcast Writing Excuses
US-Amerikanische Mentalität hin oder her, es gibt Leute, bei denen sich diese Frage nicht stellt – oder nicht mehr. Mary Robinette Kowal, Dan Wells und Howard Taylor, Wesley Chu und Piper J. Drake, um nur den engsten Kreis der Ausrichter zu nennen. Sie betreiben den Podcast “Writing Excuses” und sind längst etablierte Autoren. Gleichzeitig haben sie das gleichnamige Retreat ins Leben gerufen, das inzwischen jährlich auf einer Kreuzfahrt in den unterschiedlichsten Regionen dieser Welt stattfindet. Und sie sind der eigentliche Grund, warum sich hundert Autoren plus Familienmitglieder und weitere Unterstützung, also über 150 Personen auf der MSC Fantasia zur Fahrt nach St. Petersburg (über Kopenhagen, Stockholm und Tallinn) versammelten.
Es mag unterschiedliche Gründe geben, eine Kreuzfahrt zu unternehmen. Sei es eine Urlaubsreise, eine Silberhochzeit (Hallo Mama, hallo Papa!) oder ein im wörtlichsten Sinne ausgebranntes Liebesleben (Hey Larry!). Daneben wuselte dieses Mal nun ein große Gruppe von Autoren über das Schiff, denen immer wieder interessiert auf den gelben Brustbeutel geschaut wurde. Was war das nur für eine Spezies an Bord, die sich täglich in einem der Event-Räume traf und sich nicht selten mit einem Laptop auf dem Schoß in irgendeine Ecke des Schiffes zurückzog?
Spitzenreiter schreibt über 25.000 Wörter
Mir selbst hatte ich irgendwann die Sportsbar (wer mochte es erraten?!) als ruhiges Plätzchen auserkoren, um einige Wörter zu Papier zu bringen. Es mögen in der knappen Woche um die 500 gewesen sein. Die meiste Schreibzeit verbrachte ich mit dem Korrigieren meines Kunibert-Eder-Manuskripts. Andere Teilnehmer dagegen sollen in den paar Tagen über 25.000 Wörter geschrieben haben…
Sicherlich auch die Menge entscheidet nicht darüber, ob man ein (guter) Autor ist. Und auf diese Ausgangsfrage zurückzukehren. Sie spielte keine Rolle mehr. Weder in den Vorträgen, in den Gesprächen und noch beim abendlichen Zusammensein. Man war ein Autor, jeder war ein Autor! Jeder erzählte von seiner Geschichte, seinen Figuren, dem Plot und etwaigen Problematiken. Veröffentlicht oder nicht, Hauptberuf oder nicht, jeder bewegte sich im selben Kreis.
Nur ein Termin ist verpflichtend: Die Sicherheitseinweisung
Und nicht wenige, wahrscheinlich alle, konnten an Bord die eine oder andere Hürde überwinden und ihr Schreiben entwickeln – sei es durch Gespräche mit anderen Teilnehmern, durch Anregungen aus den Vorträgen oder in einer der “1:1”- oder “Guided Writing”-Sessions. Das Programm des Writing Excuses Retreat gab jede Menge her – und zwar so viel oder so wenig wie man wollte, denn verpflichtend war nur die Sicherheitseinweisung zum Auftakt. So blieb immer genügend Zeit für das eigene Schreiben.
Ganz nebenbei gab es da noch diese Kreuzfahrt mit all ihren Möglichkeiten, den sehenswerten Städten und natürlich mit immer etwas zu essen. Von den Büchern, die ich zur weiteren Beschäftigung mitgenommen hatte, habe ich nur eines angerührt – nach der Ankunft in Kiel im auf der Rückfahrt nach Hannover.
Inzwischen bin ich wieder im Alltag angekommen und laufe hier herum wie an Deck der MSC Fantasia (nur ohne gelben Brustbeutel). Zum Sport, abends Training, noch was bei Instagram posten, am Blog werkeln, verabredet bin ich auch noch, und die Sonne scheint. Aber erstmal frühstücken und vor allem schreiben… Willkommen an Bord des Autorenlebens!
Kevin Fiedler meint
Hallo Jan,
danke für den tollen Einblick in deine Reise. Klingt wirklich spannend. Aber ich kann mich ja persönlich einfach nicht mit solchen über Wasser fahrenden Städten anfreunden 😀
LG,
Kevin
Ricarda meint
Tolle Idee: eine Schreibreise als Kreuzfahrt! Davon hatte ich noch nicht gehört. Danke Jan, für Deinen Erfahrungsbericht! Wenn die Reise das nächste Mal auf einem kleinen Kahn stattfindet, statt auf einem Riesenschiff, dann bin ich mit dabei 🙂
LG, Ricarda
P.S. Ja, wir sind Autoren … weg mit den ollen Zweifeln!
Mirjana Teuner meint
Es hat sehr viel Spaß gemacht, den Bericht zu lesen! Danke für den tollen Einblick in die Schreibreise auf einem Kreuzfahrtschiff!
janmikael meint
Danke, Mirjana. Das freut mich!
Mirjana Teuner meint
🙂