Erste Halbzeit: Anstoss des Ganzen
„Kunibert“, sagte er leicht außer Atem, als sich ihre Hand in die seine legte und er sie schüttelte. „Kunibert Eder.“ Das hatte nun sehr förmlich geklungen, dachte er. „Kuno!“, schob er schnell nach. „Meine Freunde nennen mich Kuno.“
Sehr erfreut, strahlten ihre dunklen Augen, und da hatte er sich auch schon verliebt. „Annabelle“, ergänzte ihre Stimme. „Aber meine Freunde nennen mich AB.“ Sie zuckte mit den Achseln, als könne man da nichts machen. Eybi, es spräche sich englisch aus, so wie der Geheimname einer Agentin, sagte sie und das gefiel Kunibert, denn ein wenig internationales Flair und der Reiz einer Undercover-Dame konnte dem Dorf nicht schaden. Und eine aus Lachgrübchen strahlende Augenweide, wie Annabelle es eine war, erst recht nicht.
„Lerche, Annabelle Lerche ist mein voller Name“, überwand sie den Moment der kunibertschen Sprachlosigkeit und zog hinter ihrem Rücken einen ungelenken Bengel in einem roten Trikot hervor. „Und das hier ist Hendrik. Er würde gerne mitspielen.“ Sie deutete auf den Trainingsplatz, auf dem die meisten der Slalomstangen mittlerweile auf dem Boden verteilt lagen. Hendrik wirkte wenig euphorisch und vermittelte eher das Gegenteil von gerne mitspielen. Schnell nahm Kunibert seine Hand aus der Luft, denn die hatte er dort in seiner Aufregung ganz vergessen.
„Kein Problem, sag ich mal so“, sagte Kunibert mal so. „Ich habe das Kinderturnen, also Charly sagt das so, das Kinderturnen nur für ihn übernommen. Der kann heute nicht, musste seine Mutter nach Willerse zum Rommé fahren.“
Sie konnte nicht wissen, wer Charly war und dass Kunibert öfter für ihn einsprang. Trotzdem schaute sie ihn mit ihren großen Augen aufmerksam an, und wahrscheinlich strahlten auch seine, wie es für Kunibert typisch war, wenn er von fast kindlich naiver Begeisterung übermannt wurde.
„Das ist sicher in seinem Sinne. Der MTV ist immer an jungen Talenten interessiert.“ Kunibert versuchte, sein Bäuchlein unter seinem angeschwitzten gelben Baumwollshirt einzuziehen. „Spiele selbst schon länger nicht mehr. Bin ja auch nicht mehr der Jüngste.“ Über dreißig, wenn ihn nicht alles täuschte, aber damit wollte er es nicht so genau nehmen, dachte er oder hatte er gerade gesagt, da war er sich jetzt selbst nicht sicher. Verlegen strich er sich mit Daumen und Zeigefinger seinen Schnurrbart zusammen und fragte sich, warum er ihr das überhaupt alles erzählte. Er war bekanntlich nicht der große Erzähler. Er machte lieber, aber auch davon nicht besonders viel.
„Dein Trikot ist schon mal erste Sahne“, wandte er sich an Hendrik. Erste Sahne, dachte er, wer sagte schon noch erste Sahne? Jedenfalls sei das rote Jersey, probierte es Kunibert nun auf moderne Redensart und in Englisch, das rote Jersey des SV Willerse eine ganz hervorragende Wahl, auch wenn es dem Jungen, so schwadronierte Kunibert weiter, offensichtlich noch zu groß sei. Da werde er hineinwachsen. Andreas „Krummi Krummfuß“ Krummbiegel, der überragende Spielmacher des SV Willerse, habe schließlich auch nicht schon am ersten Tag solche exzellenten Freistöße geschossen wie jetzt.
Annabelle nickte, Hendrik rang sich ein Lächeln ab.
„Zu blöd, dass Willerse wieder abgestiegen ist“, legte Kunibert nach und bedauerte, dass der große Nachbarverein inzwischen in der Bedeutungslosigkeit der zweiten Liga verschwunden war. Wie seinerzeit der SV Meppen war er nun eine Konstante im Fußball-Unterhaus.
Der SV Willerse, wenigstens diesen Gedanken wollte er zu Ende zu bringen, sei jedenfalls das Beste, was die Region jemals hervorgebracht habe.
„Der Aufstieg in die Bundesliga ist mehr als ein Wunder gewesen. Und aus dir machen wir auch einen Krummfuß.“ Kunibert klopfte Hendrik auf die Schulter.
Annabelle lächelte und strich sich mit der linken Hand eine braune Haarsträhne aus ihrem Gesicht. Wie bezaubernd zart und klein ihre Hände doch waren. Und auch an der Ungeschüttelten trug sie keinen Ring am Finger, das fiel Kunibert gleich auf, denn er hatte ein Auge für solche Details. Details waren das A und O im Leben, denn sie waren die Zeichen, die einen führten.
Sie würde ihn später abholen, hatte Annabelle da schon gesagt und sich zum Gehen umgewandt.
„Gegen halb sieben!“, rief Kunibert ihr nach.
Vielleicht war sie geschieden? Aber einen Ring sollte man nicht wieder vom Finger nehmen, das war Kuniberts feste Überzeugung. Und einer solchen Frau schon mal gar nicht, schwärmte er weiter und beobachtete, wie ihre schulterlangen Haare im Takt ihres Schrittes davon wehten.
Sie ging rund, so rund wie es ihre Formen waren. Und nein, das verbiete er sich, ermahnte sich Kunibert. Wer legte ihm nur solche Gedanken in den Sinn? Vielmehr eleganten Schrittes und wahrhaft elfengleich schwebte Annabelle in Richtung ihres roten Kleinwagens davon.
„Marvin!“, rief Kunibert schnell, denn er wollte ein guter Jugendtrainer sein. „Marvin! Nimm auch mal den linken Fuß.“ Eines Tages, stellte sich Kunibert vor, würde Marvin in einer Sportreportage von seinem einstigen Förderer berichten. Der Kuno Eder, würde dieser Weltstar dann sagen, habe ihn immer ermahnt, auch den linken Fuß zu nehmen.
„Ich bin nicht Marvin!“, rief der Kleine zurück.
Vom Parkplatz vernahm Kunibert das Stottern eines anspringenden Motors. Mit seiner kurzen Sporthose, die die Ansätze seiner weißen, untrainiert dicken Oberschenkel offenbarten, hatte er sicher keine Punkte sammeln können. Annabelle, dachte er, warum hatte er sie in Hennigsen noch nie gesehen? Sie hatte es ihm bestimmt gesagt, aber während er selbst geredet hatte, hatte er kaum zugehört. Oder hatte er selbst nur gedacht und gar nicht geredet?
Sie kam sicher aus der Nähe, kombinierte Kunibert gewohnt treffsicher weiter. Hendrik, der kleine Junge in dem viel zu großen Willerse-Trikot, kam ihm bekannt vor. Fuhr der nicht immer mit so einem klapprigen Fahrrad durchs Dorf, als wisse er nicht, wohin er solle? Der war so unauffällig, dass es schon wieder auffällig war, und da erst bemerkte Kunibert, dass Hendrik noch immer neben ihm stand.
Hier, an diesem für den Fortlauf der Geschichte nicht unspannenden Punkt, endet auch diese Leseprobe. Über die Roman-Veröffentlichung im Herbst 2019 und von weiteren Neuigkeiten rund um Kunibert Eder informiert glücklicherweise dieser unwahrscheinlich gute Newsletter, für den es sich einzutragen unter Umständen lohnen wird.
P.S.
Als auserkorenes Schmankerl gibt es auf der Anmeldeseite den ersten der beiden nicht gänzlich zu verachtenden Teaser-in-Anführungszeichen.
Friedel meint
Bin wirklich sehr neugierig, wie es weitergeht. Die Beschreibungen der Personen sind super und der Humor kommt nicht zu kurz. 🙂
janmikael meint
Danke 🙂 Bald ist es soweit!
Eva meint
Sehr gut gelungen.☺
janmikael meint
Danke sehr! 🙂
Nicole meint
Ich habe richtig Spaß beim Lesen! Der Einstieg ist klasse. Der Kuno, das ist ja einer. Träumt, wie Marvin ihn als Mentor bezeichnen wird. Und dann heißt der gar nicht Marvin. Kuno ist total durcheinander. Kein Wunder, wo er die Frau seines Lebens trifft? Bin gespannt, wie es weitergeht.
janmikael meint
Lieben Dank, Nicole 🙂 Freut mich, dass es so rüberkommt.