Manfried war so ein Typ, der kein Glück hatte. Für ihn war das Leben ein All-Inclusive-Buffet, nur hatte er sein Bändchen am Eingang verloren. Sein Haus war eines Tages abgebrannt und seine Frau weggelaufen. Das einzige, was er von seinem Hab und Gut hatte retten können, war ein alter Leierkasten gewesen.
Manfried hieß eigentlich Manfred, doch er war ein friedlicher Mensch, weshalb er sich einen Künstlernamen gegeben und auf seinem Leierkasten eingraviert hatte: Manfried on Tour – wobei das fried noch einmal extra unterstrichen war. So trug der inzwischen gealterte Mann Rückschläge mit Fassung und blieb äußerlich gelassen, auch wenn er wie heute auf der Straße stand, aber sonst niemand stehenblieb, um seiner Musik zu lauschen.
Manfried dachte, dass das auch kein Wunder sei. Er hätte sich selbst nicht zugehört, wenn er wieder einer von denen gewesen wäre, die Tag für Tag durch die Fußgängerzone rauschten, auf dem Weg zur Arbeit, einer Verabredung oder dem neusten Sonderangebot.
Nur in der Weihnachtszeit als der Ertrag, den er hatte einspielen können, auch wieder nur für Brot und Suppe gereicht hatte, war Manfried schon mal kurz davor gewesen, seine zweite Silbe und alles um sich herum zu vergessen. Doch er war inzwischen müde geworden, vom Leben zu verlangen, was ihm seiner Meinung nach zustand. Außerdem wusste er, er wäre nicht anders als die Leute um ihn herum, wäre er nicht ausgerechnet er selbst gewesen.
So gab Manfried auch heute wie er fand wieder sein Bestes und spielte wie immer von morgens bis zum abendlichen Sonnenuntergang. In diesem Moment in der Mitte des Tages blieb sogar ein Kind mit einer erwachsenen Frau an der Hand stehen und zeigte mit großen Augen auf ihn. Manfried lächelte, doch er hatte den Charme seiner ersten Namenssilbe längst verloren. Auch die Frau erkannte das sofort, als sie ihn anschaute und das Kind schnell weiterzog.
Der Mann spiele sowieso immer die gleiche Leier, hatte sie ihm mit ihren Augen und dem Kind mit ihren Lippen geflüstert. Da wurde Manfried wütend und drehte schneller an der Kurbel seines Leierkastens. Die Melodie erklang verzerrt, verrückt, nicht wie das Original, aber Manfried störte das nicht mehr. Er lachte über sich selbst, über diese Ungerechtigkeit, wie auch andere tagein, tagaus die gleiche Leier spielten, dafür aber anständig entlohnt wurden. Er lachte über die Klänge, die er zum Vorschein brachte, variierte das Tempo, mal schnell, mal langsam, hörte auf zu spielen und klatschte in seine Hände.
Die ersten Leute blieben stehen, wussten nicht, was sie von diesem irren Schauspiel zu halten hatten, während Mannfried davon schon gar nichts mehr merkte. Er kurbelte wie besessen, johlte, klatschte, und das Klingen der Münzen mischte sich in seine Melodien. Wäre er am Ende seiner Show nicht völlig verausgabt gewesen, er hätte sogar den zaghaften Applaus einiger Umherstehender hören können.
Dann rauschten die Menschen wieder weiter und Manfried schob seinen Leierkasten erschöpft nach Hause in seine Ein-Zimmer-Wohnung. Merkwürdigerweise fiel ihm in diesem Moment ein Buch mit dem Titel „Elf Minuten“ ein, das er vor einiger Zeit aus einem der Bücherschränke in der Stadt gezogen hatte. Manfried hatte es kaum gelesen und nicht viel verstanden, denn er war noch nie ein großer Denker gewesen. Doch von diesem Tag an spielte er jeden Tag nur noch am Vormittag und am Nachmittag für jeweils elf Minuten, gab den Menschen ein Lächeln mit auf ihren Weg und genoss in der Zwischenzeit das All-Inclusive-Buffet seines Lebens. Manfried on Tour war auf seinem Leierkasten eingraviert – beide Silben waren unterstrichen.
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