Dies ist die Juni/Juli-Hausaufgabe für den Schreibhain Berlin. Festgelegt für die Geschichte waren der Ort (Kneipe), die vorkommende Figur (Pastor, 48), sein Ziel (Seligsprechung), sein Problem (kein Geld), die Zeit (Eiszeit) und das Wetter (feuchtwarm).
Eine Geschichte von einem Pastor
Es war mal wieder einer dieser Tage, und ich sage das nicht gerne, denn es ist immer einer dieser Tage, doch dieser war nun wirklich einer davon und gewissermaßen etwas ganz Besonderes. Wie immer hatte ich mein Pferd mit den hundertachtzig Stärken direkt vor dem Eingang geparkt, denn das Gestell lockt die Kundschaft an, das muss man einem erfahrenen Cowboy wie mir nicht extra erklären. Dennoch, und es passte in dieses Bild, stand ich an diesem feuchtwarmen Sonntag alleine hinter der Theke. Meine Mädels hatten frei und auch sonst war niemand anwesend. Ich könnte behaupten, ich hätte aus Langeweile Gläser poliert, so wie ihr es aus Filmen kennt und es für gewöhnlich jemand tut, der sich mit einer Situation konfrontiert sieht, wie ich es in diesem Moment tat. Doch die Wahrheit ist eine andere. Ich kostete nämlich gerade von einem Whiskey, dessen Namen ich nicht kannte, denn ich hatte alle Etiketten abgeklebt. Es war mein Ziel, in einer dieser Fernsehshows aufzutreten, mit verbundenen Augen versteht sich, und zu erraten, was ich da gerade zu mir nahm. Natürlich nicht wegen des Geldes, denn davon hatte ich genug, es ging mir um Ruhm und Ehre. Jedenfalls kostete ich gerade einen Schluck aus dem Glas und überlegte, und überlegte, als ich ihn aus dem Augenwinkel bemerkte, und überlegte, und überlegte, wie lange er dort schon sitzen mochte.
Ich hatte nicht die geringste Ahnung, denn beim Kosten des Whiskeys mit geschlossenen Augen verschieben sich Raum und Zeit. Nur eines wurde mir schlagartig klar: Es war höchste Zeit zu handeln, denn wer weiß es besser als ich, ein guter Gast will bedient werden.
„Howdy“, sagte ich also und erntete zunächst nur einen verständnislosen Blick. Es war eine traurige Gestalt, die sich hier auf dem Barhocker niedergelassen hatte. Sie trug eine Kutte, und sie war offenbar männlicher Natur, soviel mochte ich zu erahnen.
„Howdy“, versuchte ich es erneut und bekam eine erste Antwort. Ein Bier mit wenig Alkohol wollte dieser Gast tatsächlich, dieser völlig übernächtigt aussehende Typ.
„Howdy“, sagte ich, was soviel bedeutete, dass ich seinen Wunsch verstanden hatte und ihm nachkommen würde, denn ein guter Gast wollte bedient werden.
Ich mischte also in einem Glas ein alkoholfreies Weizengesöff mit einem alkoholhaltigen, fügte eine Spezialnote hinzu und stellte es dem Typen vor seinen über dem Tresen hängenden Körper. Er bedankte sich, nahm hastig einen Schluck, dann noch einen, und noch einen und verzog angewidert das Gesicht.
„Nur für harte Männer“, sagte ich, um ihm ein wenig zu schmeicheln, wohl wissend, welch erbärmliche Vorstellung er abgab. Doch ein guter Gast will sich wohlfühlen, er grinste auch schief zur Bestätigung und mir wurde langsam, dass der Typ nicht ganz normal war und offensichtlich ärgere Probleme hatte. Mit vielen Jahren Erfahrung hinter dem Tresen entwickelt man feine Antennen für einen solchen Anblick.
„Kein guter Tag“, sagte ich also, konnte ihm damit aber keine Informationen entlocken. Es war wie immer mit den Gästen – entweder redeten sie oder sie redeten nicht. Dieser hier nickte nur. Seine abgewetzte Kutte erinnerte mich an einen Pastor, und so, um die Stimmung ein wenig aufzulockern, denn ein guter Gast wollte unterhalten werden, erzählte ich ihm als die Geschichte von diesem Pastor.
„Dieser Pastor“, sagte ich. „wollte um jeden Preis selig gesprochen werden. Er wusste nur nicht, was er dafür zu tun hatte.“ Wobei ich einschränkend erwähnte, dass er es ganz genau wusste und auch alles dafür tat, doch einfach nicht glücklich wurde damit. „Es herrschte Eiszeit“, sagte ich. „Zwischen ihm und seinem Gott. Und wie ich bereits sagte, hielt sich der Pastor streng an alle Regeln, nur verlor er damit seine Fans.“
Hier verglich ich die Geschichte des Pastors, mit der eines Präsidenten eines Fußballvereins. Das Bild mag schief klingen, aber genauso war es. „Der Pastor“, fuhr ich dann also fort. „spielte jeden Sonntag so schlecht, dass die Fans nicht nur die Gesänge verweigerten, sondern bereits ihr Geld zurückverlangten und schließlich der Kathedrale fernblieben. Was er getan habe, fragte der Pastor gen Himmel, denn durch die Abwesenheit der Fans geriet er inzwischen in große Geldnot. Die Leute gingen lieber in die Kneipe statt in die Kirche. Und von Gott bekam der Pastor immer noch keine Antwort.“
Der heruntergekommene Kuttenmann nahm den nächsten Schluck, und noch einen, und noch einen, und verzog angewidert das Gesicht. Ich war mir nicht sicher, ob er mir überhaupt zuhörte, doch das war Teil meines Jobs, und ich erzählte einfach weiter.
„Es reicht nicht, sich an alle Regeln zu halten, um ein Spiel zu gewinnen“, setzte ich zur Quintessenz an. „Man stelle sich einmal vor, der HSV verlange den Klassenerhalt, nur weil er in einer ganzen Saison kein einziges Foul gespielt habe.“ Von der Meisterschaft wollte ich bei diesem momentan trostlosen Haufen gar nicht erst sprechen. „Es geht nichts über die Nähe zu den Fans, da darf man auch gerne mal einen Fehler machen.“
Der Mann schaute mich fragend an, sein Glas war leer, doch anstatt ein neues Bier zu bestellen, stand er auf und kramte in seiner Kutte. Es war kein Klimpern zu hören von ein paar Groschen, wie ihr nun vielleicht denken möget. Er kramte und kramte, und kramte, und hatte immer noch diesen fragenden Blick in seinem Gesicht.
„Gott“, sagte ich, um die Geschichte nun zu einem Ende zu bringen und ihm eine Antwort zu geben, auf seine Frage, die ihn offenbar nun sehr quälte. „Gott“, sagte ich also. „schickte diesen Pastor, indem er ihn ignorierte, durch die Welt und in die Tiefen seiner Irrwege, bis er in einer anständigen Kneipe landete und endlich einmal ein vernünftiges Bier trank. Das erleuchtete den Pastor, denn der wusste nun, wenn ein Gast Bier mit wenig Alkohol bestellte, würde Gott ihm auch das geben. Und so war es auch mit seinen Fans. Es geht immer nur darum, ein guter Gastgeber zu sein.“
Da erhob der Kuttenmann wie zu einem Ritual seine Arme und erfüllte meine Gaststätte mit einer Art altertümlichen Singsang: „Tullamore, triple distilled – the legendary Irish Whiskey.“
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