… und/oder die Subjektivität der Kritik
Anfang August war nicht nur mein jährlich wiederkehrender Ehrentag, sondern auch mal wieder Zeit für den Schreibhain in Berlin. Es war heiß, und statt Eis hieß es Scheiß (am Stil), denn die Frage stellte sich, was das denn wäre und woran man ihn erkenne und vielleicht liefert dieser bedingt qualifizierte Artikeleinstieg schon die Antwort darauf: Was ist (schlechter) Stil und welche Mittel stehen uns Autoren zur Verfügung?
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Letztlich bleibt bei allen Möglichkeiten der Kunst aber auch festzustellen, dass die Stilfrage ein oftmals subjektives Geschmacksempfinden ist. Ein Leser mag Schachtelsätze, die eine gewisse Prise Esprit in sich tragen und nicht so ernst und sperrig zu lesen sind, als sie von einem anderen Leser möglicherweise verstanden werden wollen, wenn dieser nur die Länge betrachtet und kaum noch weiß, was am Anfang des Satzes gestanden hat, wenn er ihn liest und verwirrt ist, so dass er Schachtelsätze am Ende komplett ablehnt.
(M)ein Beispiel für schlechten Stil: Rendezvous
Er hatte das Restaurant ausgesucht, wo er immer aß. Da kam sie auch schon durch die Tür. Sofort waren alle Blicke auf sie gerichtet, wie sie nun durch den Raum schwebte, ihm entgegen, ihr langes blondes Haar im Wind wehte, der durch das Öffnen der Tür zustande gekommen war. Er hatte schon den Stuhl zur Seite gezogen.
“Hallo”, sagte sie.
“Hallo”, sagte er und freute sich, dass sie gekommen war. “Schön, dass du gekommen bist.”
Er hatte sich extra schick gemacht, sie auch. Sie hatte ihr langes braunes Haar zu einem Zopf zusammengebunden, trug die rote glitzernde Kette ihrer Mutter, das silberne Armband am Handgelenk, hatte ein wenig Lippenstift aufgetragen und trug das Kleid, dass sie auch beim letzten Ball getragen hatte. Den Weinfleck hatte sie wieder rausbekommen, worüber sie sehr glücklich war, denn sie wollte eine gute Figur abgeben.
“Ich freue mich auch”, sagte sie.
“Was darf’s denn sein?” Da kam auch schon der Ober. Er hatte keine Karte dabei, daher bat er erst einmal um die Karte. Sie lächelte wie ein Honigkuchenpferd. Er lächelte zurück mit seinen strahlend-weißen Zähnen, die so makellos waren, wie auch die glatte Haut in seinem Gesicht, die er sich extra frisch rasiert hatte.
“Hier die Karten.” Plötzlich kam der Ober wieder. “Wir haben heute Fisch im Angebot für 8,90€ oder Braten für 10,80€ oder Eintopf für 6,90€ oder sie nehmen vom Salatbuffet für 3,80€.”
“Danke”, sagte er.
Sie lächelte, denn sie war glücklich hier zu sein.
die liebe Kritik
Man kann bei Bedarf vielleicht über ihn lachen, und trotzdem ist es andererseits unstrittig, dass dieser Text eine schlechte Kritik verdienen würde. Sicher herrscht in diesem Fall ein gewisser Konsens darüber, doch wie ist es in anderen Fällen? Niemand hört gerne Kritik, doch macht nicht genau dieser Umstand, dass sie zumeist zwangsläufig subjektiv ist, sie nicht doch so leicht annehmbar? Geäußerte Kritik, besonders die Art und Weise, sagt zum Einen etwas über den Kritiker selbst aus, mit welchen Augen er bsp. einen Text sieht, und gibt uns zum Anderen, und das ist nicht immer leicht zu filtern, eine Botschaft mit auf den Weg, die wir annehmen können und sollten, um dem eigenen Anspruch und Ziel näherzukommen, den eigenen Stil zu verfeinern.
Wenn ein Autor gerne Schachtelsätze schreibt, wird auch ein kritischer Leser, ihn kaum davon abbringen können, sofern dieser Autor seinen eigenen Stil dazu komplett verbiegen müsste. Für alles gibt es einen Markt, die passenden Leser und wenn es nur eine Handvoll ist, doch sollte einem Autor immer am eigenen Stil gelegen sein, denn in diesem zu schreiben und an diesem zu arbeiten, bereitet am meisten Freude.
Von nichts kommt nichts
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Aber schließlich von nichts kommt nichts, so hieß der Anfangssatz für das automatische Schreiben zum Auftakt des Schreibwochenendes, dessen Ausfluß ich euch hiermit zum Abschluss nicht vorenhalten möchte, aber nichts genaues weiß man nicht, und was heißt schon kommen, wenn jemand kommt, steht jemand vor der Tür und bittet um Einlass, dann ist er sicher nicht aus dem Nichts gekommen. Vielleicht hat man ihn selbst angerufen oder man wird überrascht, dann hat sich aber der jemand, der vor der Tür steht sicherlich seine Gedanken gemacht, bevor er losgegangen ist. Vielleicht hat er einen Strauß Rosen dabei und steht vor der Tür, nur wer sagt, dass es ein er ist, es könnte auch eine sie sein, doch einfach nur gesetzt den Fall es wäre so, dann wäre die Herzensdame nun vielleicht hocherfreut und müsste vor dem Spiegel schauen, ob das Kleid auch richtig sitzt, und in der Zeit ist er vielleicht schon wieder verschwunden oder klingelt aber noch mal – und noch mal – und noch mal, und sie fragt sich schon, was der Terror denn solle und er denkt, dass sie doch bitte zu Hause sein und die Tür aufmachen möge, denn aus dem Nichts ist er sicherlich nicht hier aufgetaucht. Vielleicht hat er sie auf der Straße gesehen, was nun sehr aufdringlich wäre, öfter bei der Arbeit oder jeden Morgen im Hausflur. Jedenfalls steht er hier, solange er noch steht und man fragt sich, was das schon wieder heißen möge, doch da er nicht aus dem Nichts gekommen ist, ist er auch nicht so leicht wieder wegzubekommen, denn von nichts kommt nichts, denkt er und klingelt ein letztes Mal, und egal ob das Kleid nun richtig sitzt oder nicht, gehört die Tür nicht dazwischen, und von allein wird sie sich nicht öffnen, das ist auch der Dame klar, die ja selbst angerufen hat, denn aus dem Nichts wäre er sicher nicht gekommen.
Mirjana meint
Ein schöner Beitrag! Besonders viel gelacht habe ich bei “(M)ein Beispiel für schlechten Stil: Rendezvous” 🙂
janmikael meint
merci =)