Heute ist einer meiner Schreibtage. Klingt unspektakulär. Ist es auch. Ich habe den ganzen Tag Zeit zum Schreiben. Auf dem Plan steht das Exposé für den ersten Teil meiner Kunibert-Triologie, wobei Triologie viel gesagt ist. Aktuell ist noch kein Teil erschienen (zusätzliche Anmerkung: aufmerksame Leser des Blogs werden hier eine Wiederholung bei der thematischen Auswahl der Blog-Einträge und ihr dichtes Aufeinanderfolgen feststellen und möglicherweise monieren, dass es schon wieder um das Exposé geht und der Autor dieses Textes wohl offenbar mehr über das Exposé schreibt als das Exposé selbst. Frechheit! Geduld, sei an dieser Stelle gesagt, und hierzu möchte der Text einen aufklärenden Anteil leisten).
Das Wort Kunibert-Exposé sticht aus der Liste meiner für heute geplanten Aktivitäten heraus und ist mein wenigstens zweiter Gedanke, als ich morgens aus dem Bett aufstehen will. WILL. Denn noch liege ich und denke. Zum Supermarkt, erst zu dem einen und dann zu dem anderen, die allwöchentlichen Besorgungen und die Zutaten für’s Mittagessen. Und dann ist da auch noch die Allergiebehandlung (kurz: Spritze), die unbedingt heute sein muss, um nicht die nächste vor meinem geplanten Kanada-Aufenthalt zu verpassen.
Gedanklich sehe ich das Exposé bereits davonschwimmen, das “o” im Wort schaut dabei besonders vorwurfsvoll. Der Abwasch, fällt mir es ein, morgen ist Sport und Fußball, da wird es nichts. Also heute. Gedanklich schiebe ich alles von links nach rechts, die Spritze von 14 auf 16 Uhr, die Morgenrasur auf den Abend. Immerhin das Bad ist nicht weit, ein paar Mal ans Kletterbrett hängen und das Frühstück zubereiten. Exposé!, ruft es sich wieder ins Gedächtnis.
Verlange ich vielleicht zu viel von mir und von dem Tag, wenn ich das meiste davon mit Schreiben verbringen will? Oder muss ich möglicherweise meinen Tagesablauf so optimieren, dass ich diese Zeit tatsächlich bekomme? Da gibt es bestimmt einen Ratgeber für oder eine App, die mir mein zeitliches Einsparpotential minutengenau auszurechnen weiß. Oder brauche ich Hilfe bei der ganzen Hausarbeit? Das meine ich im Übrigen schon immer gewusst zu haben.
Nach Bad und Frühstück steht der obligatorische Morgentee an. Dazu die E-Mails. Die ZEIT wollte mir was schenken, fällt es mir ein. Weil ich mein Abo gekündigt habe. Nette Leute da. Ich solle doch mal anrufen. Später, ist es gedanklich notiert. Dann der tägliche Blick ins geleimte Kalenderbuch mit den 800 Seiten. Hier und da ein paar Einträge ergänzen. Kuno steht jetzt für heute drin. Das heißt: Exposé!
Nachdem ich mich auch noch um das Befürfnis eines Instagram-Posts erleichtert und den Einkauf erledigt habe, strahlt mir auf meinem Netbook zum ersten Mal der Kunibert entgegen. Nach einiger Textarbeit zwingt mich mein knurrender Magen jedoch in die Küche. 14 Uhr ist es bald! Ist es das jetzt? Dieses Autorenleben? Wie das Männchen bei Sokoban die Kisten mit den täglichen Pflichten hin- und herzuschieben, um zwischendurch ein wenig zu schreiben?
Vielleicht sollte ich es halten wie der erfolgreiche Krimiautor Jussi Adler-Olsen. Im Interview mit der Zeitschrift Crime habe ich seinen ultimativen Tipp entdeckt. Die Lösung, um möglichst viel Zeit am Schreibtisch zu verbringen, ist demnach einfach. Sie lautet: Wenig trinken. Dann, so führt Adler-Olsen aus, müsse man nicht so häufig auf die Toilette.
Kochendes Nudelwasser, geschnittener Porree, Muskatnus, Insider erahnen bereits die wohlschmeckende Familien-Rezeptur. Ich denke an den vielversprechenden Adler-Olsen-Tipp. Wie sähe es aus, dieses Erfolgsrezept auf’s Essen, Haushalt, Einkauf… und die noch zu putzenden Fußballschuhe in der Sporttasche zu übertragen?
Exposé, ich komme! Ab jetzt kümmere ich mich nur noch um dich! Tatsächlich köchelt vor mir die Sahnesauce in der Pfanne. Aus dem Smartphone spricht Sven Regener. Er berichtet von seinen Schreiberlebnissen, der Riverboat-Einladung eines Kollegen und den Anrufen von Hamburg-Heiner. Seine Logbücher sind Inspiration genug, heute selbst wieder einen Blog-Eintrag zu verfassen (Anmerkung: diesen!) – und meine Motivation eine meiner treusten Leserinnen, die gestern eine Passage aus einem der Einträge zu zitieren wusste.
Wahrscheinlich muss es so sein, dass man den ganzen Tag mit seinen Verpflichtungen abarbeitet, um früher oder später zum Wesentlichen zu gelangen. Wie bei einem Schatz, nach dem man auch lange gräbt. Selten steht die Truhe einfach dort, wo das X in der Karte eingezeichnet ist. (Und wenn doch: Es könnte eine Falle sein).
Es heißt also, durch den Tag zu pflügen oder zu gehen, zu segeln, zu fliegen, wie immer man es will. Und wenn alles gut geht, und es wird alles gut gegangen sein, ist am Abend das Exposé zu aller Zufriedenheit überarbeitet und verschickt. Manche würden sicher behaupten, “ich prokrastiniere ja nur”, mache also alles Mögliche, nur um mich nicht an den Schreibtisch setzen zu müssen. Die Gegenfrage lautet: Wäre das Exposé mit acht Stunden am Schreibtisch ein anderes, wäre der Tag ein besserer gewesen?
Jussi Alder-Olson sagte in der Crime sinngemäß: Manchmal starre man fünf Stunden auf ein weißes Blatt, ehe man zu Schreiben anfange. Und plötzlich breche es los. Mir fällt jetzt ein, dass ich am Abend auch noch Bügeln wollte. Aus dem Smartphone klingt Musik von Max Raabe: “Heute mach’ ich gar nichts, keinen Finger krumm. Ich bleib’ zu Haus’ und liege hier einfach nur so rum. Telefonieren wird nicht passieren. Das was ich tu’: Kühlschrank auf und wieder zu.”
Friedel meint
sehr schön geschrieben… wer oder was bestimmt eingentlich den Tagesablauf. Bin ich es selbst, ist es der Selbsterhaltungstrieb oder ist er fremdbestimmt? Denke diese Aufzählung kann man beliebig ohne Ende fortsetzen. Wichtig ist doch nicht, in allem einen Sinn zu sehen, angeblich vertaner Zeit nachzutrauern, sondern die Zeit geniessen, die uns gegeben ist – um das zu tun, was uns vielleicht in diesem Moment gerade Freude macht (Kühlschrank auf, Kühlschrank zu). Das schließt ja nicht aus, auch das tun zu müssen, was nicht so prickelnd ist. Wenn man aber auch das gelassen angeht, hat man schon gewonnen. Das ist wie mit dem HB-Männchen, sofern noch bekannt. “Wer wird den gleich in die Luft gehn, greife lieber zur HB und alles geht wie von selbst”. Also Gelassenheit und Abhängen bis das Exposé so ist, wie es sein soll. Es ist wie bei Sokoban: Erst wenn alle Kisten da sind, wo sie hingehören, kannst man den nächsten Level spielen.
janmikael meint
danke =) wonach es sich der Tagesablauf richtet ist in der Tat eine weitreichende Frage. Das HB-Männchen kenne ich, aber HB ist keine Lösung. Dann lieber Sokoban 😉
Friedel meint
nee, stimmt – Rauchen ist keine Lösung und Sokoban trifft für das Exposé auch viel besser zu! 🙂